Lehrerin soll ins Ruhrgebiet
Veröffentlicht: Freitag, 22.03.2024 06:30
Die Grundschulen in Münster sind von den Lehrerabordnungen ins Ruhrgebiet massiv betroffen. Hart trifft das die einzügige Grundschule Loevelingloh.

Die Klassenlehrerin der ersten Klasse soll ins Ruhrgebiet abgeordnet werden. Die einzügige Grundschule verliert damit rund ein Viertel ihrer Lehrkräfte. Das sei aus schulfachlicher und schulorganisatorischer Sicht nicht zu verkraften, heißt es an der Schule. Jeannine Budelmann von der Elternschaft hat eine ausführlichere Erklärung und Lösungsvorschläge formuliert - und ans Schulministerium in Düsseldorf geschickt.
ANTENNE MÜNSTER dokumentiert im Folgenden die ganze Erklärung:
Die Schulbildung unserer Kinder steht auf dem Spiel
NRW hat ein Problem im Bereich der Grundschulen. Es gibt zu wenige originär ausgebildete Grundschullehrer und das führt zwangsläufig dazu, dass in Regionen und an Schulen, denen es an Attraktivität mangelt, auch der Lehrermangel gravierend ist. Dem will die aktuelle Ministerin für Schule und Bildung des Landes NRW etwas entgegensetzen. Es sollen Grundschullehrer:innen aus Regionen, die gut ausgestattet sind, in Problembereiche abgeordnet werden. Im Grunde eine löbliche Idee, allerdings ergeben sich bei der Umsetzung sehr individuelle Härten für Lehrer:innen, Schüler:innen und Eltern, die nicht ausreichend berücksichtigt werden.
Einzügige Schulen trifft es besonders hart
Konkret geht es um unsere Grundschule Loevelingloh in Münster-Amelsbüren, die einzügig ist. Das heißt, es gibt nur jeweils eine Klasse in jedem Jahrgang. Das Kollegium der Schule besteht aus vier Grundschullehrerinnen sowie einer Lehrerin, die lediglich 6 Stunden in der Woche Sport unterrichtet. Diese Kollegin ist bereits zur Lehrerausbildung abgeordnet. Nach 10 Jahren kommissarischer Schulleitung durch vier verschiedene Lehrkräfte haben wir nun seit Anfang letzten Jahres endlich eine feste Schulleitung und somit die Möglichkeit, auch an der Schulentwicklung zu arbeiten. Im Zuge der aktuellen Abordnungswelle wurde nun völlig überraschend entschieden, dass unsere Schule eine Lehrerin abordnen muss. Es handelt sich dabei um die Klassenlehrerin der ersten Klasse. Konkret erwartet man jetzt also von unserer kleinen Schule, dass wir zusätzlich zu der bestehenden Abordnung zwecks Lehrerausbildung noch eine weitere Kollegin abordnen. Wir bitten Sie, uns zu unterstützen und diesen Prozess aufzuhalten aus den folgenden Gründen:
- Es gibt in Münster 49 Grundschulen. Nur zwei davon sind einzügig. Eine dieser Schulen ist unsere Grundschule Loevelingloh. Wir haben den Eindruck, dass den politischen Entscheidungsträgern nicht bewusst ist, mit welchen Besonderheiten sich einzügige Schulen konfrontiert sehen. Für unsere Schule würde das konkret bedeuten, dass eine von vier Klassen ohne Klassenlehrerin dasteht. Durch die Landesregierung geplant ist, dass die abgeordneten Grundschullehrer:innen in Münster durch Lehrer:innen der gymnasialen Oberstufe ersetzt werden sollen. Für eine Grundschule ist das grundsätzlich die denkbar ungünstigste Besetzung. Die Kolleg:innen haben nie Grundschulpädagogik kennen gelernt und müssen von den Kollegien in der Grundschule eingearbeitet werden. In einer mehrzügigen Schule wird der Unterricht in Jahrgangsstufenteams vorbereitet. Das Kollegium tauscht sich aus und man bereitet den Unterricht nicht alleine vor, sondern gemeinsam. In einem solchen Kontext kann auch ein nicht ausgebildeter Gymnasiallehrer eine entsprechende Klasse übernehmen. Man kann in solchen Konstellationen theoretisch auch tauschen: Liegt dem Gymnasiallehrer der Matheunterricht mehr, dann kann er vielleicht für zwei erste Klassen den Matheunterricht übernehmen, während die Grundschullehrerkolleg:innen den Deutschunterricht machen usw. In unserer Schule würde dies ganz konkret bedeuten, dass die verbliebenen drei Klassenlehrerinnen einem potentiellen Gymnasialkollegen den Unterricht vor- und nachbereiten müssten. Sie hätten damit praktisch mehr als eine Klassenleitung. Man kann sich ausmalen, welche Folgen das für die Gesundheit des Kollegiums nach sich zieht. Der Bildungserfolg unserer Kinder ist hierdurch stark gefährdet. Wir sind nicht bereit, das hinzunehmen.
- Es wird kolportiert, dass für Gelsenkirchen die Unterrichtsversorgung aktuell bei 70% bis 80% liegen soll. Dies bedeutet, dass nur noch 70-80% des Unterrichts von Grundschullehrer:innen erbracht werden. Der Rest ist wohl fachfremd. Wenn wir eine unserer Grundschullehrerinnen verlieren, liegen wir ebenfalls in dieser Kategorie. Hilft es NRW, wenn wir die Quote einfach von einer Stadt in die nächste verschieben? Hilft es der Stadt Münster, wenn sie ihr Bildungsniveau im Grundschulbereich verschlechtert?
Gute Bildung fordert Respekt und Wertschätzung gegenüber Lehrer:innen und Schüler:innen
- Der Auswahlprozess, der diesem Verfahren zugrunde liegt, hat das Potential, ganze Kollegien zu zerstören. So war zunächst nur von 20 Lehrer:innen aus Münster die Rede, die abgeordnet werden sollten. Originär hieß es auch, dass diese in den Kreis Recklinghausen oder nach Gelsenkirchen abgeordnet werden sollten. Inzwischen ist man bei 29 Lehrer:innen und nur noch bei Gelsenkirchen, was fahrttechnisch noch schwerer zu bewältigen ist, als der Kreis Recklinghausen. Gleichzeitig wurden wohl bewusst Grundschulen ausgesucht, die in den vergangenen Jahren wenig Fluktuation im Lehrerkollegium hatten und somit nicht stark vorbelastet sind. Der Grundgedanke war wohl, dass man diesen sicheren Teams auch eine Härte zumuten kann. Was dabei außer Acht gelassen wird ist, dass es Gründe hat, warum ein Team eine geringe Fluktuation hat. Diese Politik zerstört gezielt die noch (!) gut laufende Grundschulsysteme, um belastete Systeme vermeintlich besser zu machen. Diese Verbesserung wird mit zwangsabgeordneten und dadurch demotivierten Fachkräften sicherlich nicht eintreten.
- Die einzige Lehrerin, die an unserer einzügigen Schule zur Abordnung in Frage kommt, ist die Klassenlehrerin der ersten Klasse. Die Erstklässler sind gerade extrem verunsichert und bis heute war es immer Konsens, dass es gewichtige pädagogische Gründe gibt, die gegen die Abordnung von Lehrer:innen einer ersten Klasse sprechen. Auch gibt es in der Klasse eine Schülerin, die gerade erst aufgrund von Mobbing an einer anderen Schule in diese Klasse gewechselt hat und nun zum ersten Mal wieder eine erwachsene Lehrkraft als Bezugsperson erlebt hat, der sie vertrauen kann. Diese Bezugsperson zu verlieren, würde nun speziell für dieses Kind emotional und psychisch sehr belastend. Wir merken aber auch, dass die anderen Kinder durch dieses Szenario sehr verunsichert sind und teilweise Verlustängste haben. Zudem würden wir mit der Klassenlehrerin der ersten Klasse auch unseren Schulhund Emi verlieren, der ein zentraler Bestandteil des Schulkonzepts geworden ist. Viele Eltern haben ihre Kinder gezielt deswegen zur Loevelinglohschule geschickt. Den Kindern wird somit nicht nur eine wichtige Bezugsperson genommen, sondern noch ein weiterer wichtiger emotionaler Anker.
Auch die Kinder in Münster haben ein Recht auf eine gute und verlässliche Grundschulbildung
Bildung ist für jedes Kind ein Grundrecht, egal, ob es in Gelsenkirchen oder Münster wohnt. Auch wir als Münsteraner Eltern möchten unterstützen, dass es den Gelsenkirchener Kindern hinsichtlich ihrer Bildung besser geht. Allen wäre mehr geholfen, wenn die Abordnung unserer Grundschullehrerin zurückgezogen würde und stattdessen eine Fachkraft aus einer mehrzügigen Schule (die idealerweise keine Klassenleitung innehat, zumindest nicht die einer ersten Klasse) abgeordnet würde. Wenn in unserer Schule eine Lehrerin beispielsweise krank ausfällt, muss ihre Klasse in eine andere Klasse integriert werden, die völlig anderen Stoff macht. Das bedeutet, dass im Zweifel Erstklässler gemeinsam mit Viertklässlern beschult werden müssten. Inhaltlich kennt man dies noch aus der Zeit vor dem ersten Weltkrieg, also noch alle Kinder gemeinsam in eine einzige Klasse der örtlichen Dorfschule gingen.
Wir als Eltern der Kinder der Grundschule Loevelingloh bitten Sie daher um Ihre Unterstützung! Bitte setzen Sie sich bei beim Schulamt der Stadt Münster und bei der Bezirksregierung Münster für uns ein, um zu verhindern, dass unsere Kinder in ein Bildungsvakuum geraten und unsere kleine einzügige Grundschule durchs Raster fällt mir ihren Besonderheiten. Das kann sich Münster, das können wir uns alle nicht leisten!
Eine gute Bildungspolitik braucht langfristige Lösungen
Ihre Unterstützung würde uns kurzfristig bei der Lösung unseres Bildungsproblems in Münster helfen. Langfristig regen wir jedoch an, sich bereits heute um die folgenden Punkte zu kümmern:
- Die Einstellung qualifizierter Vertretungslehrkräfte auf Zeit, um den akuten Lehrermangel zu überbrücken.
- Die Förderung von Aus- und Weiterbildungsprogrammen, um mehr Lehrkräfte, auch von anderen Schulformen, für die Grundschulen zu gewinnen und zu halten.
- Die Schaffung attraktiverer Arbeitsbedingungen und Anreize, um den Lehrerberuf langfristig attraktiver zu gestalten.
- Die Einführung eines steuerfreien Abordnungszuschusses als Anreiz, um junge, engagierte und flexible Lehrkräfte auf freiwilliger Basis für das Arbeiten an Bedarfsschulen zu gewinnen und die Personaldecke kurzfristig zu stärken.
- Ohnehin kleine Kollegien an einzügigen Schulen nicht durch Abordnungen weiter zu belasten, sondern Schulen zu wählen an denen die Zusatzbelastung auf mehrere Schultern verteilt werden kann.