Missbrauchs-Studie: Zahl der Opfer viel höher als gedacht
Veröffentlicht: Montag, 13.06.2022 10:39
Der sexuelle Missbrauch in der Kirche im Bistum Münster war weiter verbreitet als bisher angenommen. Fünf Historiker:innen der Uni Münster haben jetzt eine Studie dazu vorgelegt.

Die am Montagvormittag (13.06.) in der Aula des Schlosses vorgelegten Zahlen machen betroffen. Die Forscher haben seit 1945 insgesamt 610 betroffene Menschen ausgemacht, die – in den meisten Fällen – von Priestern sexuell missbraucht wurden. Und zwar, als sie zehn, elf, zwölf oder 13 Jahre alt waren. Fast 200 Täter sind in dieser Studie benannt. Überwiegend handelt es sich um Priester, also erwachsene, hochgebildete Menschen, die den Kindern unfassbares Leid zugefügt haben. Eine Schlussfolgerung der Wissenschaftler: Mehr als vier Prozent aller Priester im Bistum haben den Untersuchungen zufolge Minderjährige sexuell missbraucht.

Meiste Taten wurden vertuscht
90 Prozent aller Taten sind strafrechtlich nie verfolgt worden. Die Täter wurden gedeckt, man hat sie in andere Pfarreien versetzt. 40 Prozent der Beschuldigten haben sich mehrmals an Kindern vergangen, fünf Prozent sind laut Studie sogar Serientäter gewesen.
Dunkelziffer bis zu zehnmal so hoch
Die Forscher:innen haben heute erklärt, dass viele weitere Taten nicht mehr nachvollziehbar sind. Meist, weil darüber einfach geschwiegen wurde und bis heute geschwiegen wird. Die Historiker gehen davon aus, dass die tatsächliche Zahl der Betroffenen acht bis zehnmal höher liegen könnte, also bei etwa 5.000 bis 6.000 Opfern liegen könnte. Das bedeutet natürlich auch, dass die Zahl der Missbrauchsfälle insgesamt im Bistum Münster in die Zigtausende geht. Viele der Taten seien in kirchlichen Ferienlagern oder in der Jugendarbeit geschehen.

Welche Namen werden in der Studie genannt?
In der Studie werden immer Beispiele für sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen aufgeführt. Und es werden auch Verantwortliche genannt. Bischöfe, Generalvikare, Personalverantwortliche. Darunter die münsterschen Bischöfe Michael Keller (1947-1961), Josef Höffner (1962-1969), Heinrich Tenhumberg (1969-1979) und Reinhard Lettmann (1980-2008). Bis hin zum aktuellen Bischof Felix Genn. Auch er sei zu lax mit Tätern umgegangen, habe nicht konsequent eingegriffen. Aber in den letzten Jahren hat sich das nach Ansicht der Forscher deutlich geändert und Genn gehe inzwischen konsequenter gegen sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche vor.
Wie viele der Täter leben noch?
Das konnten die Forscher nicht konkret sagen. 2019 zu Beginn der Studie seien es aber immerhin noch 58 mutmaßliche Täter gewesen. Gegen sie wurde bereits oder wird aktuell staatsanwaltschaftlich ermittelt. Ganz neue Fälle, die die Justiz noch nicht kennt, soll es in der Studie nur sehr wenige bis keine geben.
Was sagt Bischof Felix Genn zu der Studie?
Münsters Bischof Felix Genn hat die 600 Seiten starke Studie erst heute überreicht bekommen und zwar direkt im Anschluss an die Pressekonferenz. Genn bedankte sich beim Forscherteam. Bevor er sich öffentlich äußere, wolle er die Studie aber erst genau lesen. Eine Pressekonferenz mit Genn ist für Freitag, den 17. Juni, angekündigt. ANTENNE MÜNSTER hält euch auf dem Laufenden. Nach unseren Informationen wird Bischof Genn am Freitag auch zahlreiche Konsequenzen aus dem Missbrauchs-Skandal ankündigen.


Öffentliche Veranstaltung im Schloss
Am frühen Montagabend (13.06., 17.30 Uhr) haben Bürgerinnen und Bürger Gelegenheit, sich über die Studie zu informieren. Die Präsentation des Historikerteams der Uni findet in der Aula des Schlosses statt. Sie wird aber auch per Videokonferenz im Internet (Kenncode: 306835) übertragen. Alle Interessierten sind eingeladen, die Wissenschaftler:innen werden auch Fragen beantworten. Auch viele Betroffene werden anwesend sein. Bischof Genn hat sein Kommen ebenfalls angekündigt. Die Studie steht ab ab sofort auch als pdf-Download auf der Homepage der WWU Münster frei zur Verfügung.

Telefonhotline zur Missbrauchsstudie
Das Bistum Münster hat für Betroffene und für Menschen, die Angaben zu Fällen sexuellen Missbrauchs im Bistum Münster machen möchten, eine Telefon-Hotline eingerichtet. Die Hotline ist unter der Nummer 0251/495-62 52 täglich bis kommenden Sonntag (19.06.) jeweils von 10 Uhr bis 19 Uhr erreichbar.