Virologe rät: Grippeschutzimpfung jetzt!

Mit der Grippeschutzimpfung schützt man nicht nur sich selbst und andere, sondern schont auch Testkapazitäten und Ressourcen der Krankenhäuser.


© UKM

Der Winter 2020/21 steht unter besonderen Vorzeichen. Wird sich die Corona-Pandemie in Deutschland noch einmal zuspitzen? Welche Rolle spielt die Grippe in diesem Jahr? Sollen sich nur Risikogruppen oder sogar auch Kinder impfen lassen? Wieso eine Impfung gegen Influenza, die über den Hausarzt für jeden Versicherten kostenlos zugänglich ist, diesen Herbst besonders wichtig ist, erklärt Prof. Dr. Stephan Ludwig, Direktor des Instituts für Molekulare Virologie am UKM (Universitätsklinikum Münster) und Koordinator des bundesweiten FluResearchNet.

Herr Prof. Ludwig, wir schreiben das Jahr 2020, das Jahr der Corona-Pandemie. Warum sollten sich in diesem Jahr mehr Menschen für eine Grippeschutzimpfung entscheiden?

Wir müssen vermeiden, dass wir gleichzeitig eine Grippewelle und die zweite Welle der Covid-19-Erkrankung bekommen. Hier ist zum einen wichtig, dass wir in der Diagnostik unsere Ressourcen schonen. Das heißt, wenn wir durch eine Impfung vermeiden, dass jemand Grippe-infiziert ist und dieser Patient dennoch Symptome zeigt, dann haben wir nicht mehr das Problem, dass wir eine Covid-19- oder eine Grippe-Erkrankung ausschließen müssen. Wir müssten also weniger testen. Und der zweite Punkt ist, dass vermieden werden sollte, dass wir sehr viele Grippepatienten in unsere Krankenhäuser bekommen, weil damit zu rechnen ist, dass sich die Covid-19-Zahlen wieder erhöhen. In diesem Fall würden Intensivstationen natürlich entlastet, wenn wir nicht noch zusätzlich eine größere Zahl an Grippe-erkrankten Patienten zu versorgen hätten.

Hat die Grippe diesen Winter überhaupt eine Chance, weil wir uns doch recht zuverlässig an die AHA-Regeln (Abstand, Hygiene, Alltagsmaske) halten?

Das ist eine Hoffnung, die wir alle haben, dass wir in diesem Jahr nicht so starke Atemwegsinfekte durch andere Erreger haben. Aber es ist natürlich nicht gesagt, dass das eintritt und wir gehen schon davon aus, dass es Grippeinfektionen geben wird. Ganz wichtig ist deshalb, dass man sich selbst mit einer Impfung schützt, dass man also nicht Gefahr läuft, gleich zwei Infektionen mit solch wirklich gefährlichen Erregern zu bekommen.

Laut Berichten stehen bei der Grippe dieses Jahr rund 24 Millionen Impfdosen zur Verfügung. Reicht das, wenn nun in Verbindung mit Corona so groß zur Impfung aufgerufen wird?

Wenn wir diese 24 Millionen Impfdosen verbrauchen, wäre das ein Erfolg. Wir haben ja in Deutschland eine frustrierende Impfakzeptanz von etwa 40 Prozent. Das ist weit weg von den geforderten 75 bis 80 Prozent der WHO, um eine Herdenimmunität zu erlangen. Wir sind also gut ausgerüstet mit Grippeimpfstoff, der außerdem über die Saison nachproduziert werden kann. Und es hat sich in den vergangenen Jahren auch gezeigt, dass man sich über Ländergrenzen hinweg ausgeholfen hat, sodass ich hier keinerlei Begrenzung oder Limitation sehe.

Also plädieren Sie für eine Grippeimpfung unabhängig von Alter oder Vorerkrankung?

Ich würde auf jeden Fall der älteren Bevölkerung, der eigentlichen Risikogruppe der normalen, saisonalen Grippe, die Impfung empfehlen. Aber ja, es sollten sich auch Normalbürger bis hin zu Eltern überlegen, sich bzw. die Kinder impfen zu lassen, weil dann die Gefahr einer Doppelinfektion nicht mehr gegeben ist.

Aber Kinder waren bisher bei der Grippeimpfung kein Thema. Ab welchem Alter empfehlen Sie eine Impfung?

Es ist richtig, dass in diesem Jahr erstmals mehrere Experten die Empfehlung ausgesprochen haben, dass auch Kinder geimpft werden sollen. Ich würde sagen, dass sich bei Säuglingen und kleinen Kindern erstmal das Immunsystem aufbauen muss, aber ab dem Schulalter sollten Eltern darüber nachdenken. Denn ich glaube, durch die Covid-19-Krise ist den meisten klargeworden, dass es nicht nur darum geht, sich selbst bzw. das Kind zu schützen, sondern auch andere. Für das Grippevirus gilt wie für den SARS-CoV-2-Erreger: Während sich bei einem Kind eine Infektion nicht stark ausprägen kann, so können diese Kinder dann trotzdem das Virus an ihre Großeltern oder Eltern übertragen.

Virologe Prof. Dr. Ludwig im Interview.

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